Rom und die Iberische Halbinsel während des Hochmittelalters – Konstruktionen von Räumen, Normen und Beziehungsnetzen / Roma y la Península Ibérica en la Alta Edad Media - la construccíon de espacios, normas y redes relacionales

Rom und die Iberische Halbinsel während des Hochmittelalters – Konstruktionen von Räumen, Normen und Beziehungsnetzen / Roma y la Península Ibérica en la Alta Edad Media - la construccíon de espacios, normas y redes relacionales

Organisatoren
Pius-Stiftung für Papsturkundenforschung; Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte der Universität Erlangen-Nürnberg
Ort
Madrid
Land
Spain
Vom - Bis
17.02.2006 - 18.02.2006
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Von
Ingo Fleisch, Mittelalterliche Geschichte, Universität Erlangen

Die am 17. und 18. Februar 2006 in Madrid abgehaltene Tagung verfolgte ein doppeltes Ziel: Zum einen ging es um die inhaltliche Vertiefung der römisch-iberischen Beziehungsgeschichte vor dem Hintergrund der sich im Zuge von Reconquista und Landesausbau vielfach neu formierenden kirchlichen und kulturellen Strukturen der Iberischen Halbinsel. Mit Blick auf die in letzter Zeit stärker ins Interesse der Forschung gerückten Fragen nach dem Verhältnis der römischen "Zentrale" zu ihren europäischen "Peripherien" sollte auch für die in dieser Hinsicht bislang noch wenig erforschten iberischen Verhältnisse Vergleichsmaterial erschlossen werden. Ein weiteres grundlegendes Ziel der Zusammenkunft war die Fortführung der iberischen Papsturkundenforschung, die nach den von Kehr und seinen Mitarbeitern in den 1920er Jahren geleisteten Pionierarbeiten weitgehend zum Erliegen gekommen war. In jeder der anvisierten Zielvorgaben wurden fruchtbare Ergebnisse erzielt: In den Tagungsbeiträgen und anschließenden Diskussionen konnten zahlreiche Aspekte der römisch-iberischen Beziehungen neu beleuchtet und regionale Besonderheiten wie auch Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden. Darüber hinaus gelang es, künftige Arbeitsperspektiven für die Sammlung und Interpretation der iberischen Papsturkunden zu entwickeln und konkrete weitere Arbeitsschritte ins Auge zu fassen.

Die Tagung wurde eröffnet durch ein Grußwort des Geschäftsträgers der Deutschen Botschaft Madrid, Herrn Detlef WEIGEL, der auf die Tradition der erfolgreichen deutsch-spanischen Zusammenarbeit verwies und die Bedeutung der Tagung für den bilateralen Wissenschaftsaustausch unterstrich.

In seinem einleitenden Vortrag hob Klaus HERBERS (Erlangen) die Rolle des Papsttums als Impulsgeber für innovative und integrative Prozesse im Europa des Mittelalters hervor und kennzeichnete Papsturkunden als eines der Leitmedien der hochmittelalterlichen europäischen Kommunikation. Unter Verweis auf die große Bedeutung der iberischen Bestände für die Papsturkundenforschung, die neben dem italienischen, deutschen und französischen Material herausragen, gab der Referent einen Überblick über den Stand der einschlägigen deutschen und spanischen Vorarbeiten. Anschließend lenkte er seinen Blick auf die Perspektiven der weiteren Forschung, indem er eine Anknüpfung an die von Kehr in Spanien und Portugal initiierte Papsturkundenforschung anregte und eine stärkere deutsch-iberische Kooperation anvisierte.

Die erste thematische Sektion widmete sich Fragen zu allgemeinen Strukturen und Normen der römisch-iberischen Beziehungsgefüge. José Luis MARTÍN MARTÍN (Salamanca) unterschied bei der von ihm untersuchten Ausbildung der iberischen Kirchenstrukturen im Spannungsfeld zwischen Königsmacht und päpstlichen Einflüssen drei Entwicklungsphasen für die Zeit vom 9. bis ins 12. Jahrhundert. In einer ersten, bis ins 11. Jahrhundert reichenden Etappe waren die kirchlichen Verhältnisse vollständig der Kontrolle seitens der Könige und der jeweiligen weltlichen und geistlichen Machthaber unterworfen, die Besetzung der Kirchenämter oder die Gründung von Bistümern erfolgte entsprechend den politischen Bedürfnissen und Interessenlagen. Mit der Ausweitung und Vertiefung der römisch-iberischen Beziehungen im Zuge der Gregorianischen Reform begann die Kurie aktiv auf die kirchenpolitischen Verhältnisse der Halbinsel Einfluß zu nehmen, indem sie die Schaffung klarer kirchlicher Hierarchien um den wiederbegründeten Primatssitz Toledo anstrebte. In einer letzten Phase wurde seit dem Beginn des 12. Jahrhunderts das Panorama römisch-iberischer Beziehungen vielfältiger und damit auch die Zahl der kirchlichen Konflikte, in denen die Päpste als Richter angerufen wurden: Neben den Auseinandersetzungen um die Primatswürde und um die Zuordnung von Suffraganen, prägte eine zunehmende Zahl von Grenzstreitigkeiten das Bild der iberischen Beziehungen zur Kurie während des 12. Jahrhunderts und darüber hinaus.

Mit Wirkungsmöglichkeiten päpstlicher Legationen beschäftigte sich der Vortrag von Ingo FLEISCH (Erlangen), der deren Einfluß auf die Rezeption des gelehrten Rechts auf der Iberischen Halbinsel und die 'Bildungspolitik' der Legaten untersuchte. Die auf der Halbinsel - ebenso wie andernorts - tätigen Legaten und Gesandten verfügten häufig über einen hohen Bildungsgrad, führten vielfach den Magistertitel und hatten zum Teil an Hohen Schulen studiert oder gelehrt. Dementsprechend waren sie häufig um eine Hebung des Bildungsstandes des iberischen Klerus bemüht, förderten Auslandsstudien, regten Schulgründungen an und waren wohl auch an der Entstehung der ersten iberischen Hochschulen im 12. und 13. Jahrhundert beteiligt. Insbesondere die Legationsreisen der Kardinäle Hyazinth Boboni (1154-55, 1171-74) und Jean d'Abbeville (1228-29), die der Referent näher beleuchtete, ragten in dieser Hinsicht heraus. Über die allgemeine Bildungsförderung seitens päpstlicher Legaten hinaus, trugen diese angesichts der zunehmend häufiger vor ihnen ausgefochtenen Streitfälle auch wesentlich zur Verbreitung des römisch-kanonischen Rechts auf der Iberischen Halbinsel bei.

Die zweite, den Quellen und Überlieferungsfragen gewidmete Sektion wurde mit einem Vortrag von María Josefa SANZ FUENTES (Oviedo) über den päpstlichen Einfluß auf die Kanzleien der kastilischen und leonesischen Könige eröffnet. Entgegen früheren Forschungen, die von einem eher geringen Einfluß des päpstlichen Urkundenwesens auf die iberischen Herrscherkanzleien ausgingen, stellte die Referentin grundsätzliche Ähnlichkeiten in der Typologie der Urkunden und deren Erscheinungsbild sowie im Registerwesen heraus. Auffallend sind neben der Entwicklung der "Rueda" besonders die Einführung der Bleibullen an Seidenschnüren als Beglaubigungsmittel feierlicher Privilegien, aber auch die Anordnung der Zeugenreihen, die in Anlehnung an das Vorbild der Papsturkunden erfolgt sein könnte. Vor allem im Königreich León unter Ferdinand II. und Alfons IX. lassen sich solche Einflüsse aufspüren. Bemerkenswert ist die deutlichere Ausprägung päpstlicher Kanzleieinflüsse in der Endphase von Alfons' IX. Regierungszeit, die mit der Aktivität von aus Salamanca stammenden königlichen Notaren in Verbindung steht und eine Beziehung zur damals ins Leben gerufenen Salmantiner Hochschule vermuten läßt.

Santiago DOMÍNGUEZ SÁNCHEZ (León) gab einen instruktiven Überblick über die Überlieferungsverhältnisse der Papsturkunden in den leonesischen Archiven. Angesichts der hohen Quellenverluste kommt der Sekundärüberlieferung im vorgestellten Material eine besondere Bedeutung zu. In erster Linie benannte der Referent die seit dem 12. Jahrhundert zahlreich entstandenen Chartulare ("Tumbos", "Becerros"), aber auch die in bischöflichen Kanzleien ausgefertigten "Vidimus" und Notariatsabschriften. Von großer Wichtigkeit sind, in Anbetracht der noch in der Neuzeit, etwa durch die Säkularisation oder durch Kriegseinwirkungen, hohen Verlustraten bei der originalen Überlieferung, außerdem die im Zuge der Gegenreformation seit dem späten 16. Jahrhundert entstandenen Quellensammlungen. Bemerkenswert ist der geringe Anteil von Fälschungen an den untersuchten Beständen, der deutlich unter 5 % des Gesamtmaterials liegt.

In der letzten Sektion stand der vergleichende Blick auf die Beziehungen verschiedener iberischer Regionen zum Papsttum im Vordergrund. Den Auftakt machte hier Ludwig VONES (Köln), der sich mit den bereits im späten 9. Jahrhundert einsetzenden katalanischen Rombeziehungen beschäftigte und die Frage untersuchte, ob die Initiative bei der Konstituierung und dem Ausbau der katalanischen Kirchen- und Landesstrukturen des 9. - 11. Jahrhunderts vom Papsttum ausging oder ob die katalanischen Grafenhäuser im Verein mit dem Adel und den lokalen Kirchen die treibende Kraft waren. In einer kritischen Auseinandersetzung mit den Thesen von Thomas Deswarte konnte der Referent, gestützt auf die Forschungsergebnisse von Jochen Johrendt, aufzeigen, daß die frühen Kontaktaufnahmen zwischen Katalonien und dem Papsttum zumeist auf Impulse seitens der katalanischen Machtträger und ihrer herrschaftlichen Forderungen zurückgingen. Von der Bildung eines uneigennützigen, papsttreuen 'parti réformateur et romain' kann gleichwohl ebensowenig die Rede sein wie von einer initiativen katalanischen Kirchenpolitik Roms.

Fernando LÓPEZ ALSINA (Santiago de Compostela) thematisierte die Rolle des Apostolizitäts-Konzeptes in der Geschichte der galicischen Metropole Santiago de Compostela. Für das kirchliche Selbstverständnis und die Herausbildung einer iberischen Vorrangstellung der Jakobskirche waren der apostolische Ursprung des dortigen Christentums und die Präsenz des Apostelgrabes in Galicien von grundlegender Bedeutung. Das Vordringen des päpstlichen Einflusses im zweiten Drittel des 11. Jahrhunderts führte zu einer Krise der Kirchentraditionen der Jakobskirche, da deren Apostolizitäts-Konzept von Rom zunächst zurückgewiesen wurde. Mit der sukzessiven päpstlichen Anerkennung der Compostellaner Ansprüche seit 1095, die in der Verleihung der Metropolitanwürde an Santiago de Compostela und der Zuerkennung der persönlichen Legatenwürde an den Compostellaner Oberhirten Diego Gelmírez gipfelte, wurde die päpstliche Autorität als Garant einer iberischen Vormachtstellung der Jakobskirche jedoch konstitutiv, was einen massiven Ausbau der Compostellaner Romkontakte zur Folge hatte. Diese Entwicklung spiegelt sich in der spezifischen Überlieferungslage der Papsturkunden für die galicische Metropole, die für die Pontifikate Urbans II. und seiner Nachfolger - v. a. durch die Historia Compostellana und den Tumbo B - außergewöhnlich gut ist, während für die Zeit vor 1095 fast keine Überlieferung existiert.

Maria Cristina CUNHA E ALMEIDA (Porto) konzentrierte sich in ihrem Beitrag auf die Entwicklung der Kirchenverfassung der portugiesischen Kathedralkirchen unter dem Einfluß des päpstlichen Reformprogramms. Trotz der teils sehr ungünstigen Quellenlage - so etwa für Lissabon - und des in Portugal noch unzureichenden Forschungsstandes, ließen sich einige Entwicklungslinien verfolgen. So konnte die Referentin u. a. anhand von Synodalakten und Kapitelsstatuten, den in portugiesischen Diözesen im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts zunehmenden römischen Einfluß aufzeigen. Besonders in Braga und Coimbra, den damals wichtigsten kirchlichen und weltlichen Zentren Portugals waren schon frühzeitig Romkontakte ausgeprägt; beide Diözesen waren im Untersuchungszeitraum außerdem die wichtigsten portugiesischen Empfänger von Papsturkunden, die auch auf die bischöflichen Kanzleien von Braga und Coimbra eingewirkt haben. Die von Rom angeregten Reformen wurden jedoch nicht überall widerstandslos angenommen; in Porto etwa kam es im ausgehenden 12. Jahrhundert zu erheblichen Auseinandersetzungen zwischen Bischof und Kathedralkapitel, die immer weitere Kreise zogen und schließlich sogar zu einem langwierigen Konflikt zwischen der portugiesischen Krone und Rom führten.

Das abschließende Arbeitsgespräch galt vornehmlich dem weiteren Fortgang der Arbeiten zur Sichtung, Sammlung und Interpretation der Papsturkunden für iberische Empfänger und deren Koordination. Die Erstellung einer gemeinsam nutzbaren Datenbank mit bibliographischen und Quelleninformationen wurde angeregt und der Nachdruck der bisher publizierten und in Spanien und Portugal teils nur sehr schwer zugänglichen Studien und Vorarbeiten zur Hispania Pontificia, einschließlich der vorhanden spanischen bzw. portugiesischen Übersetzungen wurde ins Auge gefaßt. Unterstrichen wurde die Notwendigkeit einer raschen Publikation der Tagungsbeiträge und die Fortführung der Arbeitstreffen im Jahresrhythmus; ein Folgetermin in Göttingen, auf dem Fragen der iberischen Chartularüberlieferung, die sich im Verlauf der Tagung als grundlegend herauskristallisierten, thematisiert werden sollen, konnte für 2007 bereits anvisiert werden.


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